MENSCHLICHE FAKTOREN: IM GELÄNDE

ride
Intuition

Angesichts der Komplexität der Bergwelt erweist sich die Intuition bei der Entscheidungsfindung oftmals als gefährlich.

Für intuitive Entscheidungen nutzen wir unser unbewusstes Denksystem: schnelles Denken mit wenig mentaler Energie. In einer sicheren, gewohnten Umgebung, in der eine gewisse Routine herrscht, funktioniert das sehr gut. Im unsicheren winterlichen Hochgebirge funktioniert es dagegen nicht.

Um es mit den Worten des Schweizer Bergführers W. Munter zu sagen: „Als erstes höre ich auf mein Bauchgefühl. Wenn es nein sagt, dann gehe ich nicht. Nein heißt nein! Wenn es ja sagt, beginne ich zu überlegen!“ . Mit anderen Worten, wir müssen auf unser Bauchgefühl hören, wenn es nein sagt. Wenn es ja sagt, müssen wir das vernunftgesteuerte Denksystem aktivieren und gründlich überlegen. Das setzt voraus, dass wir an den Entscheidungspunkten einen Stopp einlegen.

„Falsche Positive“

Die auf früheren Erfahrungen und, im Falle der Lawinengefahr, auf einer Reihe teils falscher Beurteilungen beruhende Intuition der Gruppe kann fatale Auswirkungen haben.

Beispiel: Wenn es bei der vierten Person der Gruppe zur Lawinenauslösung kommt und wenn diese vierte Person nicht da gewesen wäre und die Lawine nicht ausgelöst worden wäre, hätte die Gruppe dann daraus geschlossen, dass ihre Entscheidung den Hang zu befahren falsch war? Mit Sicherheit nicht!

Unter diesen Bedingungen und ohne Hinterfragung seiner Entscheidungen und Vorgehensweise verlässt sich der Wintersportler oftmals auf eine auf „falschen Positiven“ basierende Erfahrung.

ride
ride
Bekannter / unbekannter Streckenverlauf

Eine weitere unbewusste Falle, die „Gewohnheit“, führt den Tourengeher dazu, einer Routine zu folgen, anstatt vernünftig zu überlegen. Bei der Gewohnheit kann es sich um bekanntes Gelände oder um das gewohnte Funktionieren der Gruppe handeln. Dies kann dazu führen, dass die Tour weniger gründlich geplant und vorbereitet wird, insbesondere was die Beobachtungen des Geländes oder den Faktor Mensch in Bezug auf die gewohnte Gruppe betrifft. „Wir kennen uns in diesem Gelände aus“, „Wir sind es gewohnt mit dieser Gruppe auf Tour zu gehen“. Diese Art zu denken führt dazu, die getroffenen Entscheidungen nicht zu überprüfen, obwohl die Situation sich wahrscheinlich geändert hat.

Einfluss der Bedingungen

Ein Powdertag, ideale Wetterbedingungen für den Gipfel, eine Tour, auf die wir seit vielen Wintern warten... Diese Situationen haben einen ganz erheblichen Einfluss auf unsere Entscheidungen und können schnell zum Unfall führen. Diktiert der Wunsch, alles aus dieser Tour herauszuholen, das Ziel um jeden Preis zu erreichen, die Entscheidung? Der „Reiz etwas Exklusives zu erleben“ steigert den Wert der Unternehmung. Der Tourengeher wird dazu verleitet, diese einmalige Gelegenheit zu nutzen. Er verfällt dem Reiz, die erste Spur im Pulverschnee zu ziehen, es treibt ihn dazu, sich immer weiter in unberührtes Gelände vorzuwagen... Zuweilen bis zu Hängen, die eine wirklich Gefahr darstellen. Die Sucht nach dem Powder ist häufig in Skigebieten zu beobachten. An den „einfachen, leicht zugänglichen“ Hängen sind bereits am frühen Morgen viele Skifahrer unterwegs, um ihre Spuren zu ziehen. Freerider und Skitourengeher suchen sich dann weniger befahrene Gebiete mit unverspurten Hängen, an denen die Wahrscheinlichkeit, auf langlebige Schwachschichten zu treffen, größer ist.

ride
ride
Beeinflussung durch andere Gruppen

Die Präsenz anderer Gruppen und das Vorhandensein anderer Spuren können das Entscheidungsverhalten beeinflussen. Der Wunsch nach sozialer Anerkennung und der Wunsch einer anderen Gruppe zu imponieren führen dazu, von den durch die Gruppe festgelegten Verboten abzuweichen. Ohne die Anwesenheit einer anderen Gruppe würde man das Risiko nicht eingehen. Es ist die Gefahr der Konkurrenz zwischen Gruppen „Wir werden es ihnen zeigen“.

Erinnern Sie sich daran, dass das Gehirn nicht gerne nachdenkt, weil es dabei viel Energie verbraucht. Folglich verlässt man sich lieber auf das Naheliegende. Daher ist die Versuchung groß, einer vorhandenen Spur zu folgen. Das sollte uns nicht daran hindern, die richtigen Fragen im Hinblick auf die Gruppe, die Wetterbedingungen und die Schneeverhältnisse zu stellen.

Den Mut haben seine Zweifel zu äußern

Ein gutes Verhältnis der Gruppenmitglieder untereinander ist wichtig, damit jeder sich traut seine Zweifel zum Ausdruck zu bringen. Es gibt zahlreiche Berichte von Unfällen, bei denen einige Mitglieder ihre Zweifel hatten, sich aber aus Mangel an Selbstvertrauen nicht trauten diese zum Ausdruck zu bringen, um die anderen nicht zu enttäuschen und zu frustrieren. Verbindlichkeit, ein offenes Ohr und eine nicht hierarchisch strukturierte Gruppe sind der Schlüssel für eine gute Kommunikation. Um gemeinsam die richtige Entscheidung zu treffen, ist gegenseitiges Vertrauen unter den Gruppenmitgliedern wichtig.

“Die Aura des Experten” kann die Mitglieder der Gruppe daran hindern ihre Zweifel zu äußern. Das vom Gruppenführer vermittelte Bild kann, ganz gleich ob es gerechtfertigt ist oder nicht, das kritische Urteilsvermögen der Teilnehmer einschränken.

ride
ride
Den Mut haben zu verzichten

Ein Verzicht wird vor allem dann als Niederlage empfunden, wenn man ein einziges Ziel vor Augen hat. Das gilt umso mehr in einer Gesellschaft, in der Beharrlichkeit und Heldentum einen hohen Stellenwert haben. Im unsicheren winterlichen Hochgebirge sind Skitourengeher und Freerider jedoch gefährdet.

Zu verzichten bedeutet sich einer Situation anzupassen, in der sich neue Parameter ergeben haben, welche die Skifahrer dazu zwingen, ihre anfängliche Entscheidung zu überdenken. Es geht darum, die Sicherheit der Gruppe über den Spaß und andere Motivationen zu stellen.

Selbst versierte Profi-Freerider und Bergführer verzichten angesichts der Gefahr. Das ist die unsichtbare Seite der schönen Bilder, die wir jeden Winter zu sehen bekommen. In der Rubrik U-turn finden Sie eine Reihe von Interviews mit Profis, die sich angesichts der Gefahr zur Umkehr entschlossen haben

Umgang mit Müdigkeit und Zeitplan

Die realistische Einschätzung der benötigten Zeit ist Teil der Tourenplanung. Der Zeitplan hängt vom technischen Können und der körperlichen Fitness des schwächsten Mitglieds der Gruppe ab. Er kann sich im Laufe der Tour ändern.

Hinweise zur Größenordnung (ohne lange Pausen):

  1. Aufstieg mit Tourenskiern 400 m/Std. für normal trainierte Tourengeher
  2. flache Abschnitte: 4-5 km/Std.
  3. Abfahrt: 2 bis 3 Mal schneller als der Aufstieg bei guter Befahrbarkeit für die Gruppe.

Eine Verspätung während der Tour kann der Grund für eine Umkehr sein. Im Frühjahr beispielsweise erhöht sich die Lawinengefahr mit steigenden Temperaturen. Eine Rückkehr in der Dunkelheit in einem komplexen, lawinengefährdeten Gelände führt zudem dazu, dass die Gruppe die Orientierung verliert und die Wahl einer anderen Route ausgeschlossen ist.

ride